Aus dem zerstörten Kalisch nach Warschau

 

 

Auf den ersten Blick scheint dieser Brief mit dem Generalgouvernment zu tun zu haben, also mit den 1939–1945 vom Deutschen Reich militärisch besetzten Gebieten der Zweiten Polnischen Republik, die und nicht unmittelbar durch Annexion in das Reichsgebiet eingegliedert wurden, wie u. a. anfangs die neuen Reichsgaue Danzig-Westpreußen, Wartheland und der neue Regierungsbezirk Zichenau in Ostpreußen.

Ein genauerer Blick auf die Briefmarken und Stempel zeigt aber, dass es sich um ein Postdokument aus dem Ersten Weltkrieg handelt.

 

 

Das Einschreiben ist „An die/ Betriebsstoffabteilung/ beim/ General-Gouvernement/ Warschau/ Senatorska № 10“ gerichtet und in Kalisch am 5.6.1916 abgestempelt. Die deutschen Germania-Briefmarken tragen den Aufdruck „Russisch/ Polen“. Ein Absender ist nicht angegeben; die Stadt Kalisch (heute Kalisz, eine polnische Kreisstadt in der Woiwodschaft Großpolen).

 

Auf der Briefrückseite ist der Eingangsstempel von Warschau (5.6.1916) zu sehen.

 

 

Russisch Polen

Kongresspolen bezeichnet das konstitutionelle Königreich Polen, das 1815 auf dem Wiener Kongress (daher der Name) als Nachfolger des von Napoleon 1807 gegründeten Herzogtums Warschau geschaffen wurde. Es war durch Personalunion eng mit dem Russischen Zarenreich verbunden und wurde nach Verlust der verbliebenen Rechte ab den späten 1860er Jahren auch als Weichselland oder „Russisch-Polen“ bezeichnet.

Als Folge der Rekrutierung von Polen für die russische Armee zur Bekämpfung der Belgischen Revolution brach in Warschau der Novemberaufstand von 1830 aus, in dem die Polen versuchten, die russische Fremdherrschaft und Dominanz abzuschütteln. Der Novemberaufstand wurde 1831 von der russischen Armee niedergeschlagen. Die Bezeichnung Polen wurde verboten und das Land durch die russische Obrigkeit als Weichselland bezeichnet.

Während des Ersten Weltkrieges beschlossen die Mittelmächte, die Kaiserreiche Deutschland und Österreich-Ungarn, die Gründung eines selbstständigen polnischen Staates auf dem dem russischen Zarenreich abgenommenen Territorium Kongresspolens. 1916 wurde das in Analogie zum Entschluss des Wiener Kongresses benannte Regentschaftskönigreich Polen durch das Deutsche Reich ausgerufen. Am 11. November 1918 wurde die Zweite Polnische Republik ausgerufen.

Wikipedia

 

 

 

1915 wurde das Kongresspolen von den Mittelmächten besetzt.

Österreichische Besetzung 1915–1918

Österreich besetzte den südlichen Teil des Kongresses Polen; es wurden keine speziellen Briefmarken ausgegeben; Österreichische Briefmarken wurden zur Verfügung gestellt. Es wurden österreichische Feldpostämter eingerichtet, die Poststempel mit polnischen Ortsnamen verwendeten.

Deutsche Besetzung 1915–1918

Das von Deutschland besetzte Gebiet wurde „Generalregierung Warschau“ (Generalgouvernement Warschau) genannt. Am 12. Mai 1915 wurden deutsche Briefmarken mit dem Aufdruck „Russisch-Polen“ der kaiserlichen Druckerei in Berlin für den Einsatz im deutsch besetzten Gebiet ausgegeben. Am 1. August 1916, nach dem Fall Warschaus und der vollständigen Besetzung Mittelpolens, wurde eine Serie von 11 Briefmarken mit dem Aufdruck „Gen.-Gouv. Warschau“ herausgegeben. Sie blieben bis November 1918 in Gebrauch. Diese Briefmarken sicherten nur die Zustellung an die Post und nicht an den Empfänger. Die Besatzungsmächte stellten keinen örtlichen Zustellservice zur Verfügung; Sie überließen es dem Stadtrat, lokale Lieferdienste einzurichten. Einige dieser Räte stellten Briefmarken her, um diesen Dienst zu erbringen, andere verwendeten Gütesiegel, die auf die Briefe gestempelt waren. Die meisten ausgegebenen Briefmarken wurden ohne Genehmigung der Besatzungsbehörden hergestellt. Keine davon war für die Verwendung nach der Ausgabe polnischer Briefmarken im November 1918 gültig.

 

12. Mai 1915

 

1. August 1917

 

Ehemaliges deutsch besetztes russisches Gebiet

Nach dem Waffenstillstand am 11. November 1918 machten sich die polnischen Behörden daran, einen Postdienst zu organisieren. Es wurden Anweisungen erteilt, vorübergehend vorhandene Briefmarken zu verwenden und Entwertungsautomaten mit polnischen Ortsnamen zu ändern oder zu ersetzen. Viele Büros haben von sich aus die Briefmarken „Russisch-Polen“ und „General-Gouv. Warschau“ mit „Poczta Polska“, „Na Skarb Narodowy“ usw. überdruckt.

 

        

 

Unter Verwendung von „Briefmarken und Postgeschichte Polens“

https://de.wikibrief.org/wiki/Postage_stamps_and_postal_history_of_Poland

 

 

Die Zerstörung von Kalisz war ein Ereignis aus der Anfangsphase des Ersten Weltkriegs im August 1914. Die Stadt Kalisz in Russisch-Polen wurde dabei von deutschen Truppen zuerst besetzt, dann aus heute nicht mehr aufzuklärenden Gründen angegriffen und teilweise zerstört. Geschätzt mindestens 100 Einwohner der Stadt wurden von den Deutschen erschossen. Die Ereignisse erinnern an das Verhalten deutscher Truppen bei der Invasion Belgiens und der Zerstörung Löwens im August 1914.

Am 1. August 1914 hatte das Deutsche Reich dem Russischen Kaiserreich nach der Nichtbefolgung eines Ultimatums zur Einstellung von dessen Generalmobilmachung den Krieg erklärt. In der Nacht vom Sonntag, dem 2. August 1914, dem ersten Mobilmachungstag im Deutschen Reich, zum 3. August besetzten deutsche Truppen ohne ernstliche Gegenwehr und nach einer chaotisch verlaufenden russischen Evakuierung die polnisch-russischen Grenzstädte Kalisz, Częstochowa (Tschenstochau) und Będzin (Bendzin), letztere in Schlesien. In Kalisz wurden von den Russen vor ihrem Abzug die Hauptbrücke über die Prosna gesprengt und einige strategische Gebäude in Brand gesetzt. Die Bevölkerung von Kalisz empfing die deutschen Truppen mit freundlicher Neugier, der polnische Bürgermeister Bronisław Bukowiński leitete ein Begrüßungskomitee. Major Hans Rudolf Hermann Preusker, Kommandeur des II. Bataillons/7. Westpreußisches Infanterie-Regiment Nr. 155 (vor dem Krieg in Ostrowo/Ostrów stationiert, rund 25 Kilometer von Kalisz entfernt; zugehörig zur 10. Division des V. Armee-Korps) hatte den Befehl über die deutschen Truppen in der Stadt. Er bezog sein Quartier im Hotel Europa nahe dem Stadtzentrum. Er ließ am 3. August eine Proklamation über die Übernahme der preußischen Militärverwaltung über Kalisz verlautbaren. Darin wurde u. a. die Abgabe aller Waffen im Privatbesitz binnen 24 Stunden gefordert. Die örtliche, überwiegend aus Russen bestehende Polizei wurde aufgelöst und entwaffnet.

Ereignisse vom 3. bis 7. August

Am Abend des 3. August ereignete sich der erste Zwischenfall: nach angeblichen Schüssen auf deutsche Truppen begannen diese mit Schießereien und Artilleriefeuer auf das Zentrum der Stadt. Einwohner wurden aus ihren Häusern gezerrt und auf offener Straße misshandelt und teilweise erschossen. Bürgermeister Bukowiński musste die ganze Nacht durch mit dem Gesicht auf dem Boden auf der Straße liegen und wurde bewusstlos geschlagen, einer seiner Mitarbeiter wurde erschossen, als er ihn mit einem Mantel zudecken wollte.

Am Morgen des 4. August wurden Ärzte, darunter Dr. Alfred Dreszer vom Szpital Swietej Trojcy, bei ihrer Hilfe für die Verwundeten behindert, die Bergung von Verwundeten und Toten wurde durch deutsche Soldaten verhindert. Am gleichen Tag ließ Major Preusker eine Proklamation in deutscher und polnischer Sprache verlautbaren, in der der Besuch von Restaurants verboten, eine nächtliche Ausgangssperre verhängt, die Erschießung jedes 10. männlichen Erwachsenen als Vergeltung für Übergriffe angedroht und eine Kontribution von 50.000 Rubel gefordert wurde. Das Erscheinen von Zeitungen wurde verboten.

Am Nachmittag des 4. August zogen sich die deutschen Truppen aus der Stadt zurück. In den folgenden Tagen bis zum 7. August wurde die Stadt sporadisch mit Artillerie beschossen, ohne dass dadurch größere Schäden entstanden, ein Zeuge gab später an, insgesamt 88 Granaten gezählt zu haben.

Ereignisse vom 7. bis Ende August

Am 7. August gegen 14:00 zogen zwei Bataillone des Landwehr-Infanterie-Regiments Nr. 7 (2. westpreußisches) der 3. Landwehr-Division bzw. zu einem wahrscheinlich späteren Zeitpunkt auch ein Bataillon des Königlich Sächsischen Landwehr-Infanterie-Regiments Nr. 133 in Kalisz ein und lösten das Infanterie-Regiment 155 ab, das nach der Herstellung des mobilen Zustands des V. Armee-Korps an die Westfront verlegt wurde. Der Regimentskommandeur, ein Oberstleutnant von Hofmann, ließ den polnischen Magistrat einbestellen und erreichte dessen Zusage, dass sich ähnliche Vorfälle wie in den Vortagen nicht wiederholen würden. Nur wenig später kam es jedoch zu neuen Schießereien. Mehrere Zeugen erwähnten später ein scheuendes Pferd als Auslöser für die Verwirrung. Die deutsche Seite behauptete später, man sei nach einem „Signal“ unter gezieltes Feuer genommen worden und habe das Feuer nur erwidert.

An diesem und dem Folgetag folgte ein weiterer Beschuss von Kalisz mit Artillerie. Brände brachen aus, die noch zehn weitere Tage wüteten und einen Teil der Stadt zerstörten. Es fanden willkürliche Erschießungen statt, unter den Opfern waren Priester, Frauen und Kinder. Am Abend wurde das Rathaus in Brand gesetzt, das Artilleriefeuer dauerte die ganze Nacht über an. Am 8. August wurden rund 700–800 männliche Einwohner als Geiseln genommen und auf einem Feld außerhalb der Stadt festgehalten. Tausende Einwohner flohen aus Angst um ihr Leben aus der Stadt. Die deutschen Truppen plünderten und brandschatzten die verlassene Innenstadt. Nur rund 5000 Einwohner blieben Mitte August noch in der Stadt zurück. Die ärmeren Bewohner flohen in die umliegenden Dörfer, die Reichen bis nach Warschau oder ins eigentliche Russland.

 

Postkarte 1914

 

Am 10. und 11. August wurden Häuser systematisch geplündert und danach niedergebrannt. Möbel und Haushaltsgegenstände wurden mit requirierten Fuhrwerken zum Bahnhof gebracht, um nach Deutschland gebracht zu werden. Soldaten gingen anschließend mit Strohballen von Haus zu Haus und legten damit Brände, die etwa 10 Tage anhielten. Fast der gesamte Zentrumsbereich wurde ein Opfer der Flammen. Am 11. August wurden Dr. Dreszer und einige seiner Mitarbeiter vom Hospital und etwa 20 weitere Bürger von den Deutschen vor die Stadt gebracht und mit Erschießung bedroht, später aber freigelassen. Dreszer wurde trotz seiner deutschen Abstammung beschuldigt, ein Spion zu sein. Er floh nach seiner Freilassung aus der Stadt. Am 13. August wurden rund 500 männliche Geiseln (von ursprünglich mindestens 750) nach Deutschland deportiert, wo ein Teil von ihnen in Posen verhört wurde.

Am 17. August kehrte Bürgermeister Bukowiński in die Stadt zurück und fand eine Szene der Verwüstung vor. Plünderungen und Brandlegungen gingen noch einige Zeit weiter, vermutlich bis zum 22. August, als ein deutscher General auf Bitten Bukowińskis intervenierte. Bukowiński gelang später die Flucht nach Russland.

1918 wurde Kalisz durch die Neuerrichtung Polens nach 123 Jahren wieder Teil eines polnischen Staates und anschließend teilweise in traditionellem und teilweise in modernem Stil wiederaufgebaut. Von 1939 bis 1945 gehörte Kalisch als Stadtkreis und Sitz des Landrates für den gleichnamigen Landkreis zum deutschen Reichsgau Wartheland. Am 23. Januar 1945 wurde Kalisch fast unzerstört von der sowjetischen Armee eingenommen. Von 1975 bis 1998 war Kalisz Hauptstadt der Woiwodschaft Kalisz, zu der auch Teile von Niederschlesien gehörten.

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