Klaus Groth und Wilhelm Petersen

Eine vergessene Freundschaft. Mit unveröffentlichten Briefen.

Am 28. Juni 1881 schrieb Klaus Groth[1] aus Harzburg bei Braunschweig an seinen Dichterkollegen Gottfried Keller nach Zürich: „Sie haben mir mit der Zusendung der ersten Auflage Ihres „Grünen Heinrich“ durch Rat Petersen eine große Freude gemacht.“[2] Dieser Brief belegt nicht nur eine - allerdings lockere - persönliche Bekanntschaft zwischen dem niederdeutschen Dichter und dem Schweizer Schriftsteller, Groth nennt in ihm auch den Stifter dieser Beziehung, den Regierungsrat Wilhelm Petersen aus Schleswig. Dass Petersen auch weiterhin zwischen Groth und Keller die Rolle eines Literaturagenten spielte, belegt ein Brief, den er - drei Jahre später - am 15. September 1883 aus Schleswig nach Zürich schickte: „Für jetzt bitte ich nur um gütige umgehende Auskunft, ob Sie Klaus Groths „Quickborn“ mit den Bildern von Speckter etwa besitzen. Wenn nicht, möchte ich es Ihnen gern senden. Wenn Sie es dagegen besäßen, hätte die Sache keinen Sinn. Weil es so ganz speziell meine Heimat behandelt, wüßte ich es gern in Ihrer Hand.“[3] Keller antwortete am 17. Dezember desselben Jahres: „Es freut mich, Sie wohl zu wissen mit den Ihrigen, und besitze den Quickborn nicht, weder mit noch ohne Bilder. Wenn Sie sich desselben einmal berauben wollen, so soll er mir willkommen sein und mit großem Dank empfangen werden.“[4]

Anlässlich der Vorbereitung eine Ausstellung zum 100. Todestages Petersen im Storm-Haus, Husum stieß ich auf einige bisher unbekannte Dokumente, die sogar auf eine tiefere Freundschaft schließen lässt, in die die Familien in Kiel und Schleswig einbezogen waren.[5]

 

Wilhelm Petersen aus Schleswig besuchte häufig Dichter in Schleswig-Holstein; er war nicht nur Gast bei Storm in Hademarschen; er besuchte Klaus Groth in Kiel, Wilhelm Jensen in Flensburg und Emanuel Geibel in Lübeck. Und er zählte auch zu dem Kreis, der sich in jedem Jahr am Dreikönigstag in Husum traf, um den Geburtstag von Ludwig Graf Reventlow zu feiern, der als Landrat im Schloss vor Husum residierte.

Nicht nur in den Provinzen Schleswig und Holstein war Wilhelm Petersen ein gerngesehener Gast; er reiste häufig nach Süddeutschland, nach Österreich, in die Schweiz und nach Italien; er war Gast bei Gottfried Keller[6] in Zürich, bei Paul Heyse[7] in München, bei Wilhelm Jensen[8] in Freiburg und später in München. Petersen besuchte den Zeichner und Journalisten Ludwig Pietsch in Berlin und den Österreichischen Literaturwissenschaftler Emil Kuh in Meran; er war Gast in den Ateliers von Adolph Menzel und Arnold Böcklin. Er pflegte mit vielen dieser Männer rege Korrespondenzen und war bekannt mit Persönlichkeiten wie den Publizisten Rochus von Liliencron und Hermann Heiberg, Malern wie Franz Defregger, Franz Lenbach und Fritz von Uhde. Im Alter nahm er noch Kontakt zur jüngeren Schriftstellergeneration auf, zu Detlev von Liliencron und zu Gustav Frenssen.

      

Wer war dieser Wilhelm Petersen?[9]

Als Regierungsrat in Schleswig war er mit dem Landwirtschaftsressort betraut und kümmerte sich vor allem um Fischerei-Angelegenheiten. Von seiner beruflichen Tätigkeit lässt sich nichts Bedeutendes berichten; ein Beamter wie viele andere auch, ohne besonderen Ehrgeiz, kein Karrierist. Lediglich freundlicher als andere preußische Beamte seiner Zeit war dieser Petersen, der sich nicht zu schade war, persönlich bei den Fischern im Schleswigschen Holm nachzuschauen, wie es mit ihrem Handwerk bestellt war.

Auffällig seine regelmäßigen Reisen in den Süden, über die Alpen bis nach Italien; Petersen war ein früher Tourist, der allein reiste und unterwegs gern bei Freunden und Bekannten vorbei schaute. Zu Hause stand die Familie im Mittelpunkt, Petersen wanderte viel mit seinen Kindern; er interessierte sich für Topographie, Flora und Fauna seiner Heimat, sammelte merkwürdige „Altertümer“, vor allem Zeugnisse der alten Handwerkskünste wie Fayencen und Töpferwaren. Als Dichter dilettierte er ein paar Mal mit kleinen Texten, vor allem aber zeichnete und aquarellierte Petersen alles, was ihm bei seinen vielen Spaziergängen, Wanderungen und Reisen erwähnenswert erschien. Seine Freunde nannten ihn den „schwarzen Peter“, ein Ehrenname, zu dem wohl seine äußere Erscheinung Anlass gegeben hatte. Als Gast war er gerngesehen; er war ein Feinschmecker und tapferer Trinker; sein Interesse an den Freunden galt auch deren Angehörigen. So entstanden vielfach freundschaftliche Familienverbindungen, von denen einige auch nach seinem Tode von den Nachkommen fortgeführt wurden.

Das alles sagt uns zwar einiges über die menschlichen Qualitäten dieses Mannes, nichts aber über irgendeine Leistung, die es rechtfertigen würde, sein Andenken noch heute zu pflegen. Wilhelm Petersens Name ist nur deshalb in Erinnerung geblieben, weil er ein Freund der Dichter war, ein guter Freund von Theodor Storm, Gottfried Keller, Paul Heyse, Wilhelm Jensen, Klaus Groth und anderen. Und diese Freundschaft ist gut dokumentiert, weil Petersen eben auch ein bedeutender Briefeschreiber war. Petersen, der Bürger und Dilettant, hatte seinen Dichterfreunden etwas zu sagen und war ein stiller Kritiker, der nicht nur an familiären Prozessen Anteil nahm, sondern der sich auch in die Schreibprozesse einmischte und dessen Meinung als „Musterleser“ bei den Freunden gefragt war.

 

Johann Wilhelm Christian Petersen wurde am 20.1.1835 als Sohn eines Zollverwalters in Kellinghusen geboren. Nach dem Besuch des Katharineums in Lübeck und des Johanneums in Hamburg studierte er Jura in Kiel, Heidelberg und Göttingen. Nach eigenem Bekunden trieb es der Student als Mitglied von studentischen Verbindungen recht toll, schlug sich regelmäßig in Mensuren und galt als wilder Zecher; in Heidelberg wurde er „wegen Beleidigung gegen Angestellte der Universität“ von der Lehranstalt verwiesen und machte dort und danach auch in Kiel wegen seines lockeren Lebenswandels Schulden. Später bereute er seine vertane Studienzeit. Am 15.1.1869 heiratete er Auguste Haase (geboren am 29.12.1841 in Tönning, gestorben am 5.7.1924 in Altona); der Ehe entstammen zwei Kinder: Anna, geboren am 12.5.1871 in Schleswig, besuchte die Kunstschulen in Berlin und München, wurde Bildhauerin und Zeichenlehrerin und lebte nach Studienaufenthalten in Frankreich und Italien als freischaffende Künstlerin in München und Bremen (gestorben am 15.11.1944); Lorenz, geboren am 21.4.1873 in Schleswig, wurde Rechtsanwalt und betrieb Forschungen zur Rechtsgeschichte Schleswig-Holsteins (gestorben 17.5.1944 in Hamburg). Ihm verdanken wir eine Fülle biographischer Details aus dem Leben seines Vaters und der Familie.[10]

1859 bestand Wilhelm Petersen das Amtsexamen in Kiel und trat in die Beamtenlaufbahn ein: 1859/60 war er Volontär in Rendsburg, 1860/63 Amtssekretär in Itzehoe, 1863 wurde er Assistent bei der Landesregierung in Plön, 1864 Kanzlist in Kiel, 1865 Bureauchef, 1868 Königlich-Preußischer Regierungsassessor in Schleswig, 1874 Regierungsrat und 1894 Geheimer Regierungsrat.

Petersen war ein tüchtiger Verwaltungsbeamter. Vor allem hat er die ihm seit 1872 anvertrauten Dezernate der Landwirtschaft und der Fischerei auf das nachhaltigste gefördert.

Er starb am 26.9.1900 in Schleswig.

 

Bei aller Lust, in die Ferne zu streifen, blieb doch die engere Heimat der eigentliche Entfaltungsbereich Petersens. Hier erkundete er die vielfältige Landschaft des Herzogtums Schleswig, hier sammelte er Zeugnisse handwerklicher Volkskunst, hier war der „schwarze Peter“ wegen seiner Gastfreundschaft berühmt. Immer an neuen Eindrücken und Kontakten zu aufgeschlossenen Persönlichkeiten interessiert, führte er ein gastfreundliches Haus und weitete seinen Bekanntenkreis ständig aus: Hermann Heiberg, Rochus von Liliencron, Wilhelm Jensen, Emanuel Geibel, Klaus Groth und nicht zuletzt Theodor Storm zählten dazu.

 

Mit Klaus Groth wurde Petersen durch seinen Studienfreund Heinrich Brandt bekannt, der als Rechtsanwalt in Kiel lebte und in dessen Haus sich ein Kreis literarisch interessierter Persönlichkeiten traf. Wann Groth und Petersen einander zum ersten Mal begegnet sind, ist nicht dokumentiert; ein erster Hinweis in Groths Korrespondenz datiert ins Jahr 1876, als die beiden Männer bereits das fünfzigste Lebensjahr überschritten hatten. Groth schrieb aus dem Kurort Mentone bei Monaco am 27. November an den Österreichischen Literaturwissenschaftler Emil Kuh: „Bei einer kranken Freundin aus Linz sah ich hier die „Wiener Abendpost“ mit ein paar Auszügen aus Ihrem „Hebbel“ [der Hebbel-Biographie von Emil Kuh, 2 Bde, Wien 1877], zugleich mit der Anzeige, daß Ihr Buch bald erscheinen wird. Freilich hat mir Rat Petersen erzählt, er habe die Druckbogen des Werkes bei Ihnen gesehen; demnach hoffte ich nicht, daß es schon sobald ganz fertig sein und erscheinen würde. [...] Aber mit wie kuriosen „Marschleuten“ hat Sie das Schicksal bekannt gemacht! Schwarzer Peter, sagen wir unter uns, und meinen noch aufgeregtere einarmige Dithmarscher. Doch sind wohl alle beide nicht uninteressant.“[11]

Unter dem Spitznamen „Schwarzer Peter“ war der Regierungsrat auch bei den anderen Dichterfreunden in Schleswig-Holstein bekannt, eine Reaktion auf die große Gestalt und den im deutschen Norden ungewöhnlichen schwarzen Haarwuchs. Der gesellige Petersen hat Klaus Groth - genau wie seine anderen Dichterfreunde - offenbar regelmäßig besucht; an Gottfried Keller schrieb er am 18. Juli 1886: „Von Storm höre ich selten. Mit Kl<aus> Groth war ich kürzlich einige Stunden zusammen.“[12]

 

Im Groth-Nachlass der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek sind nur wenige Dokument dieser Beziehung erhalten, zwei Briefe und eine Postkarte von Groths an Petersen[13] sowie einige bisher nicht beachtete Photographien im Petersen-Nachlass der Landesbibliothek. Briefe von Petersen an Groth sind keine überliefert. Die vorhandenen Dokumente bestätigen die Erinnerung der Tochter Anna an die persönlichen Kontakte der Familien Petersen und Groth[14]; sie schrieb in ihr Tagebuch:

 

Meine erste Erinnerung an Klaus Groth datiert etwa zwei Jahrzehnte zurück. - Es war an einem schwülen Sommertage, als Theodor Horstmann, der bekannte Rezitator, auf der Durchreise zu Klaus Groth in mein elterliches Haus kam. Am Abend während eines aufziehenden Gewitters las Horstmann uns bei offenem Fenster mit lauter, mehr und mehr anwachsender Stimme sein Gedicht „De Flot“ vor. Ich sehe noch den scharfgeschnittenen Kopf mit den voll herabhängenden schwarzen Locken, die auf uns Kinder begreiflicherweise tiefen Eindruck machten, sich gegen das Stahlblau des Himmels abheben. Das ungewohnte Temperament und das „Sich-ganz-Hingeben“ packte uns Kinder [...] − Am nächsten Tage sandte uns Horstmann aus Kiel ein kleines Album mit Bildern, in das [...] Klaus Groth eigenhändig zu unserem Jubel „Matten Has“ als Gruß an „de lütten nüdlichen Gören“ geschrieben hatte.

Ein oder zwei Jahre später in Eckernförde, wohin wir durch die blühende Landschaft Schwansen unsere gewohnte Sonntagswanderung gemacht hatten, lernten wir „endlich“ unseren Dichter von „Lütt Matten de Has“ und den stets mit gleichem Jubel begrüßten „lck sprung noch inne Kinnerbüx“ persönlich kennen und schlossen mit ihm auf der tiefblauen Förde schnell eine Freundschaft, die nach Kinderart glühend und schwärmerisch war - und, was mich angeht, auch geblieben ist. Im Laufe der nächsten Jahre galt ein schon lange vorher herbeigesehnter Ausflug regelmäßig Kiel und hier unserem Freunde. Das Bild dieser Besuche ist, vom ersten Tag an bis zum letzten Besuch in diesem Jahre, immer dasselbe geblieben. Entweder fanden wir seine große, hagere Gestalt auf seine „Poort“ gelehnt, oder er wanderte, die Arme auf den Rücken gelegt, langsam vor der „Cajüte“, seinem reizenden, behaglichen Arbeitsstübchen im Erdgeschoß, umher. Lora, dieser klügste aller Papageien, mit dem sein Herr stets vertraulich Zwiesprache zu halten pflegte, saß nachdenklich auf seiner Stange und knurrte seinen Ärger vor sich hin über die Vögel, die dann und wann über sein Revier hinwegflogen.

Nach der Begrüßung, bei der Groths große, freundliche Augen aufleuchteten und einen ungemein liebenswürdigen, ja geradezu zärtlichen Ausdruck annahmen, wurde zuerst die schöne Blutbuche bewundert, die auf dem köstlich frischen Rasen stand, und hier und da in das Nest einer Drossel oder eines Rotkehlchens gelugt. Mit gleicher Regelmäßigkeit wurde sodann eine Flasche schweren roten Weines, den Groth mit Vorliebe zu trinken pflegte, von einem Schränkchen geholt, und wenn dann die Unterhaltung in das alte, behagliche Fahrwasser geraten war, dann sprudelten die in ihrer Frische so köstlichen Bemerkungen und Anekdoten hervor. [...] Er hatte eine ungemein lebhafte und fesselnde Art des Erzählens. So sprach er nie in indirekter Rede, sondern führte die Personen, von denen er erzählte, stets redend ein. Dabei nahm seine ganze Haltung und Stimme etwas von dem Charakter der redenden Person an, wenngleich er die Stimmhöhe nur unmerklich wechselte. Während des Erzählens waren die Brauen hoch gezogen, und die auffallend langen, schlanken und feinen Hände erhöhten durch lebhafte Gebärden die Dramatik der Erzählung, die beim Wechsel der redenden Personen mit „sä ick“ und „seggt he“ eingeleitet wurde. Lora wurde auch bei dieser Gelegenheit ins Gespräch gezogen und gab seine Teilnahme durch ein behagliches Knurren und leises „Schnacken“ zu erkennen. [...]

Zum 70. Geburtstag bekam Groth etwa 200 Telegramme, die alle gebunden aufbewahrt sind. ,.Kommt da der Postbot“ erzählte er, „und bringt wieder einen ganzen Haufen und das Eine, sagt er, möchte ich dem Herrn Professor selbst geben. Ich mache die Depesche auf, gebe sie meinem Sohn und sag’: „Kiek mal“, segg ick, „das ist ‘mal nett von Willem! - ich hab' einen Schwager, der Wilhelm heißt.“ - „Was?“ seggt he, „Du bist wohl dwallerig, Papa, die ist ja vom Kaiser!“

 

Aus dem oben bereits zitierten Briefwechsel zwischen Petersen und Keller geht hervor, dass es Petersen war, der Keller auf Groths „Quickborn“ aufmerksam machte und der zwischen beiden mehrfach Korrespondenzen vermittelt haben muss. Auch haben viele persönliche Begegnungen zwischen Groth und Petersen in Kiel stattgefunden. In sein Tagebuch notierte Petersen im Oktober 1885: „Mit Klaus Groth wurden Aquarelle und Verse gewechselt“; und im darauffolgenden Sommer: „ [...] erwarteten das Kieler Dampfschiff. Die Kinder waren begierig, Klaus Groths Bekanntschaft zu machen, sie erkannten ihn bald nach dem Bilde, und nun begann die Begrüßung zunächst aus der Ferne, dann am Lande, wo dann auch Prof. Moebius, Karsten und andere Bekannte uns die Hand schüttelten. Moebius versprach einen Besuch zum 22. k<ommenden> M<onats>. Es folgten interessante Vorträge und dann das Mahl, an welchem auch die Kinder glückstrahlend teilnahmen. Um 4 Uhr das Dampfschiff bestiegen. Die Schleppnetzfischerei begann und förderte die Geheimnisse des Meeresgrundes zu Tage [...]. Um 6 Uhr Landung [...]. Die Kinder sind von Klaus Groth sehr entzückt“[15]

 

Im Petersen-Nachlass haben sich zwei Photographien erhalten, die von der Intensität der Beziehung zwischen den beiden Familien Zeugnis ablegen. Es war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts üblich, im Freundeskreis Porträt-Photographien auszutauschen und sie in Alben zu sammeln. Von Klaus Groth hat Petersen ein Bild im „Carte-des-visite“-Format aufbewahrt.[16] Außerdem gibt es noch eine weitere Photographie im Postkartenformat aus dem Jahre 1889, die Groth vor seinem Haus in Kiel zeigt[17]; es enthält die handschriftliche Widmung Groths für Petersens Tochter Anna: „Seiner lieben Anna Petersen zum Andenken“.

          

Alles in allem ergibt sich aus diesen Lebenszeugnissen nicht nur, wie vielfältig die Interessen Petersens waren, sondern auch, welchen positiven Einfluss er auf seinen Dichter- und Künstlerfreunde ausübte, die er durch seine rege Anteilnahme immer wieder zu kreativer Tätigkeit angeregt hat.

 

Familie Klaus vor dem Hause am Schwanenweg; Doris Groth, Herman Grimm, Gisela Grimm geb. von Arnim, Klaus Groth, Albert, Karl und August Groth (von links)
 

Die Briefe

Die Briefe werden wort- und zeichengetreu nach den Handschriften wiedergegeben.

1. Groth an Petersen, Postkarte vom 19.9.1881[18]

Kiel 19 Sept. 81

Geehrter Herr Regierungsrath!

   Verzeihen Sie, daß ich Ihren freundlichen Brief wegen H.’s[19] noch nicht beantwortet habe, es soll nächster Tage geschehen. Bis dahin lassen Sie wohl die Sache bei sich ruhen.

   Mit freundl. Gruß Ihr

Klaus Groth

2. Groth an Petersen, eigenhändiges Gedicht[20]

An ....[21]

Warum denn warten

Von Tag zu Tag?

Es blüht im Garten

Was blühen mag.

 

Wer kommt und zählt es,

Was blüht so schön?

An Augen fehlt es,

Es anzusehn.

 

Die meinen wandern

Von Strauch zu Baum −

Mir scheint, auch Andern

Wär’s, wie ein Traum.

 

Und von den Lieben,

Die mir getreu

Und mir geblieben,

Wärst Du dabei

 

Kiel Mai 1885                                                   Klaus Groth

 

 

3. Groth an Petersen, eigenhändiges Gedicht [22]

 

Auf der Höhe[23]

(Borby beim Hardesvogt Petersen)[24]

 

Es steht auf luft’ger Höhe

Im Sinne mir ein Haus.

Aus seinen Fenstern sehe

Ich über das Feld hinaus.

 

Der Schnee bedeckt die Lande,

Die weite Bucht das Eis.

Das Städtchen nach dem Strande

Schimmert wie Nebel weiß.

 

Ich schaue von dem Hügel

In eine stumme Welt.

Nur ferne Mühlenflügel

Drehn winkend übers Feld.

 

Auch eilet wohl ein Wandrer

Davon auf schmalem Pfad.

Die Brücke tritt ein Andrer,

Verschwindend in der Stadt.

 

Doch dringt von Schritt und Tritten,

Von Sorgen, Angst und Pein,

Von Freuden Hochgeziten[25]

Kein Ton zu mir herein.

 

Im ganzen Hause waltet

ein Geist von gleicher Art.

Sein Ton ist fast veraltet

Für unsre Gegenwart.

 

Da ist kein laut Gepränge

Von eitel Prunk und Schein.

Mir war zu Muth, als dränge

Die Jugendzeit herein.

 

Da ward mir wieder stille,

Wie da ich Knabe war.

Da ward die ganze Fülle

Der Welt mir wieder klar.

 

Auch meine Seele reckte

Die Flügel noch einmal.[26] -

Wenn nur der Schnee nicht deckte

So manches Grab im Thal.

 

Kiel 19 Febr. 1886                                                            Klaus Groth

  

4. Groth an Petersen, Brief vom 28.3.1891[27]

Kiel 28 März 1891

                    Lieber Freund!

   Ich danke Ihnen herzlich für Ihren lieben schönen Brief. Ich habe davon unter vielen Tausenden nur ganz einzelne empfangen, die mich so erhoben, die mir großes Lob sagten, ohne mich erröthen zu machen, die mich demüthig dankbar aufblicken lehrten zu dem Schicksal, das mir so viel Schweres auferlegt und doch mich reich gesegnet hat. Ich erkenne es an, haben Sie herzlichen Dank.

   Das trockne Buch[28] ist trotzdem gut, denn es erfüllt seinen Zweck, gerade durch seine Anspruchlosigkeit und seine Kürze, sonst würde es Niemand lesen. − Sollte Ihnen die „Gegenwart“ vom 14 März (N° 11) in die Hand kommen, so finden Sie dort einen schönen Artikel von Dr. Zolling[29], der die Erinnerungen bespricht und erweitert.

   Meinen beiden Söhnen geht es gut, Carl[30] kann viel in Kiel bei mir sein, für Albert[31] sind ja freilich die Verhältnisse in Südamerika augenblicklich sehr ungünstig.

Ich bin ziemlich ohne Schaden durch den harten Winter gekommen, doch bin ich viel müde und mag nicht arbeiten.

   Möge es Ihnen bald recht wohl wieder gehen, damit man Sie auch einmal wieder sehen kann.

   Grüßen Sie die Ihrigen!

Ihr getreuer

Klaus Groth

 

Alle Autographen und Briefe: Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek Kiel, Nachlass Klaus Groth


[1] Der 1819 in Heide geborene Groth arbeitete zunächst in seiner holsteinischen Heimatstadt als Lehrer, von 1847 bis 1853 auf der Insel Fehmarn, wo die meisten seiner plattdeutschen Gedichte entstanden. Groth gab den Lehrerberuf auf und zog nach Kiel, wo er mit dem Philologen Karl Müllenhoff an den Grundlagen einer niederdeutschen Schriftsprache arbeitete. Nach einem Studium in Bonn wurde Groth 1866 Professor für deutsche Sprache und Literatur in Kiel. Sein „Quickborn“ gilt als bedeutendstes literarisches Werk in niederdeutscher Sprache; die Sammlung enthält Lieder, Balladen und Erzählungen aus der norddeutschen Heimat.

[2] Groth an Keller, Brief vom 28. Juni 1881. In: Klaus Groth: Briefe aus den Jahren 1841 bis 1899. Hamburg 1963. (Sämtliche Werke, Bd. 7.)

[3] Petersen an Keller, Brief vom 15.9.1883. In: Irmgard Smidt (Hg.): Mein lieber Herr und bester Freund. Gottfried Keller im Briefwechsel mit Wilhelm Petersen. Stäfa 1984.

[4] Keller an Petersen, Brief vom 17.12.1883; ebenda.

[5] Gerd Eversberg: Im Kreise der Dichter. Wilhelm Petersen (1835-1900) und seine Freundschaft mit Storm, Keller, Heyse, Groth u.a. Eine Ausstellung zum 100. Todestag. Mit einem Beitrag von Kornelia Küchmeister. Heide 2000. (Husumer Kataloge 1.)

[6] Karl Ernst Laage (Hg.): Theodor Storm - Gottfried Keller. Briefwechsel, Berlin 1992.

[7] Rainer Hillenbrand (Hg.): Paul Heyses Briefe an Wilhelm Petersen. Mit Heyses Briefen an Anna Petersen, 4 Briefen Petersens an Heyse und einigen ergänzenden Schreiben aus dem Familienkreise. Frankfurt a.M. 1998.

[8] Der Briefwechsel zwischen Wilhelm Jensen und Wilhelm Petersen (Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek, Kiel) ist nicht veröffentlicht; er enthält eventuell weitere Hinweise auf die Freundschaft Groth-Petersen.

[9] Vergl. auch: Clifford Albrecht Bernd: Wilhelm Petersen. In: Schleswig-Holsteinisches Biographisches Lexikon, Bd. 3, S. 208-210.

Brian Coghlan: Die Gestalt des Regierungsrates Wilhelm Petersen. In: STSG 34 (1985), S. 9-15.

P. Chr. Hansen: Geheimrat Wilhelm Petersen in Schleswig. In: Die Heimat 10(1900), Nr. 11, S. 217-223.

Wilhelm Jensen: Heimat-Erinnerungen. In: Velhagen und Klasings Monatshefte Juli 1899/1900, Bd. 2, S. 501-512.

[10] Lorenz Petersen (Hg.): Wilhelm Petersen. Zu seinem 100. Geburtstag am 20. Januar 1935 seinen Enkeln von seinem Sohn gewidmet. Als Manuskript gedruckt, Glückstadt und Hamburg 1934.

[11] Groth an Kuh, Brief vom 27.11.1876; in: Klaus Groth. Briefe aus den Jahren 1841 bis 1899. Flensburg und Hamburg 1963. (Sämtliche Werke, Bd. 7.)

[12] Petersen an Keller, Brief vom 16.7.1886; a.a.O.

[13] Auf diese Briefe wurde ich durch Frau Dr. Kornelia Küchmeister (Schleswig-Holsteinische Landesbiblithek, Kiel) aufmerksam gemacht, die anlässlich der Vorbereitungen der Petersen-Ausstellung in Zusammenarbeit mit dem Storm-Archiv, Husum einen Beitrag über den Petersen-Nachlass verfasst hat; vergl. Kornelia Küchmeister: Der Nachlaß Wilhelm Petersens im Spiegel der Autographenbestände der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek in Kiel. In: Gerd Eversberg: Im Kreise der Dichter, S. 17-22. Die beiden Briefe wurden erst nach Redaktionsschluss des Katalogs entdeckt. Ich danke dem Direktor der Landesbibliothek, Dr. Jens Ahlers, für die Genehmigung zum Abdruck der Autographen und Frau Küchmeister für die freundliche Beratung und Unterstützung.

[14] Anna Magnussen-Petersen: Persönliche Begegnungen mit Klaus Groth, Hermann Allmers, Wilhelm Jensen und Adolph Menzel. Hg. von Karin Magnussen. [Privatdruck (Husum, Storm-Gesellschaft) 1994.]

[15] Wilhelm Petersen: „Geh fleißig um mit deinen Kindern!“ Ausschnitte aus dem Tagebuch, das Theodor Storms persönlicher Freund, der Schleswiger Regierungsrat Wilhelm Petersen, in den Jahren 1878 bis 1886 für seine Kinder geführt hat, ausgewählt von seiner Enkelin Karin Magnussen (Bremen). [Privatdruck (Husum, Storm-Gesellschaft) 1988.]

[16] Klaus Groth, Photo von Schmidt und Wegener, Kiel aus Petersens Besitz, Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek, Kiel.

[17] Klaus Groth vor seinem Haus in Kiel; Lichtdruck einer  Photographie, die anlässlich des 70. Geburtstages (1889) von der Fa. F. A. Dahlström in Hamburg gedruckt wurde mit einer handschriftlichen Widmung an Anna Petersen; Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek, Kiel.

[18] Eigenhändige Postkarte; Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek, Kiel (Nachlass Wilhelm Petersen, Cb 41:81:01). Gedruckte Karte: Deutsche Reichpost. Postkarte. An [in Groths Handschrift:] „Herrn Regierungsrath Petersen in Schleswig“; Poststempel: Kiel, 20.9.81.

[19] Paul Heyse hatte Petersen im August 1881 in Schleswig besucht; wahrscheinlich hat Petersen in einem Brief an Groth über diesen Besuch berichtet. In einem Brief an Storm vom 21. August schrieb er an Theodor Storm aus demselben Anlass: „Freitag meldete sich plötzlich Heyse an: er könne es in H<affkrug> nicht länger aushalten und wolle nach Sylt. Abends 10 Uhr kam er an, blieb gestern und reiste heute weiter. Er wird Sie nun auf der Rückfahrt besuchen, [...]. Mittags kam Liliencron zur Begrüßung und blieb bei uns. Das war eine recht heitere Mahlzeit, die beiden Münchener Kindl ließen ihre Geschichten und Einfälle fröhlich fließen [...].“Brian Coghlan (Hg.): Theodor Storm - Wilhelm Petersen. Briefwechsel. Berlin 1984.

[20] Gedichthandschrift, 2 Seiten mit Briefumschlag: [in Groths Handschrift:] „Herrn Regierungsrath Petersen Schleswig“, Poststempel: Kiel, 16.6.85. Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek, Kiel.

[21] Gedicht an Anna Huethe, geb. Bartels, Tochter eines Freundes von Groth in Kiel. Vergl. Klaus Groth: Hundert Blätter. Hamburg1960. (Sämtliche Werke Bd. V.), S. 193 und Anm. S. 330; dort mit der Widmung „An Anna“ und der Datierung: „Kiel, 8. Mai, abends spät, 1885“.

[22] Eigenhändige Gedichthandschrift, 3 Seiten, datiert: 19. Febr. 1886; Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek, Kiel.

[23] Der Text stimmt mit der gedruckten Fassung bis auf eine Variante in der zweiten Zeile der dritten Strophe („In eine stille Welt“) überein. Vergl. Klaus Groth: Hundert Blätter. Hamburg1960. (Sämtliche Werke Bd. V.), S. 195f.

[24] Borby ist ein Dorf bei Eckernförde, am nördlichen Ufer der Bucht gelegen und heute eingemeindet. Die Handschrift bestätigt die Vermutung, dass es sich bei dem hier genannten Haus um das des dortigen Hardesvogt Petersen handelt, der zum Freundeskreis Groths zählte; vergl. Klaus Groth: Hundert Blätter, S. 331.

[25] Das Nibelungenlied beginnt mit den Versen: Uns ist in alten mæren wunders vil geseit/ von helden lobebæren, von grôzer arebeit,/ von freuden, hôchgezîten, von weinen und von klagen,/ von küener recken strîten muget ir nu wunder hœren sagen.

[26] Anspielung auf Eichendorffs berühmtes Gedicht „Mondnacht“, in dem er heißt: „Und meine Seele spannte/ Weit ihre Flügel aus,“.

[27]  Eigenhändiger Brief, 2½ Seiten; Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek, Kiel.

[28] 1891 erschienen Groths „Lebenserinnerungen. Hg. von Eugen Wolff“ im Verlag Lipsius & Tischer, Kiel und Leipzig in der Reihe „Deutsche Schriften für Litteratur und Kunst“. Groth hatte dafür Auszeichnungen zur Verfügung gestellt, die der Verfasser durch andere Quellen und mündliche Äußerungen Groths ergänzte.

[29] Theophil Zolling:****. In: Die Gegenwart. Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben, Berlin, Nr. 11 vom 14. März 1891. Dr. Zolling war Herausgeber der Zeitschrift und mit Groth befreundet; dieser übermittelte mehrfach autobiographische Skizzen an den Herausgeber, die als Grundlagen mehrerer Veröffentlichungen in dieser Zeitschrift dienten.

[30] Carl Groth, geb. 1865, Weinhändler.

[31] Der Kaufmann Albert Groth, geb. 1863, war seit März 1886 in Montevideo im Geschäft seines Vetters Willy Schmidt aus Bremen tätig.