Kultur und Kleidung

 

Theodor Storm reiste nach Hamburg

 

 

Nach seiner Pensionierung im Jahre 1880 war Theodor Storm von Husum weggezogen und lebte nun mit seiner Familie im holsteinischen Hademarschen, wo er sich eine komfortable Villa hatte erbauen lassen. Der alternde Dichter hoffte, auf diese Weise noch einmal eine produktive Phase einleiten zu können, in der er sich ohne die Belastungen des beruflichen Alltags nur auf sein Schreiben konzentrieren konnte. Schon bald aber zeigte sich, dass ein Wohnort auf dem Lande auch seine Nachteile haben kann. Denn von Hademarschen aus mussten die Stroms ins nahe gelegene Heide fahren, wenn sie einkaufen wollten. Die kleine Stadt in Dithmarschen bot genug für den Alltag, wollten sie aber etwas Besonderes erwerben oder gar ein Konzert oder eine Theateraufführung erleben, so mussten die Stroms nach Hamburg fahren. Und auch mit denen gesellschaftlichen Kontakten war es in der Abgeschiedenheit der dörflichen Umgebung nicht gut bestellt. Zwar hoffte Storm, dass mit der neugebauten Eisenbahn die Freunde auch aus anderen Teilen Deutschlands häufig zu Besuch kommen würden, da aber die damaligen Reisebedingungen alles andere als bequem waren, blieben die Bekannten aus oder kamen nur sehr selten zu besonderen Anlässen in das gastliche Haus des Storms. Um den Kontakt mit Familienmitgliedern und Bekannten zu pflegen, fuhren Theodor und seiner Frau Dorothea regelmäßig nicht nur nach Heide, wo sie mit der Familie Eckermann befreundet waren, sondern auch nach Husum zur weitläufigen Familie oder zu den Freunden und mindestens einmal im Jahr auch nach Hamburg.

Die Stadt an der Alster war Theodor Storm seit seiner Jugend vertraut. Hier besuchte er als Student die Familie Scherff, die mit seiner Mutter verwandt war, und Bertha von Buchhan, das kleine Mädchen, in das er sich unsterblich verliebt hatte.

Mit dem Komponisten Ludwig Scherff, dem Sohn seines Onkels, verband Theodor eine Freundschaft, von der er auch in seinen dichterischen Aktivitäten profitierte, denn eine Komposition von Scherf regte ihn zu seinem Gedichtzyklus „Neue Fiedellieder“ an. Später lernte er die Familie des Malers Otto Speckter kennen, danach den Pädagogen und Theologen Heinrich Schleiden; freundschaftliche Kontakte ergaben sich auch zu anderen Verwandten der Scherffs, so mit den Schwestern Hallier, zwei Nichten von Heinrich Scherff.

 

 

Andenken an Hamburg. Kolorierter Stahlstich von James Gray, um 1850.

 

Bei allen diesen Freundschaften waren die Familienmitglieder einbezogen; man nahm gegenseitig an freudigen und weniger erfreulichen Ereignissen Anteil; Storm erwähnt in seinen Briefen Hochzeiten, Taufen und berufliche Erfolge. Man sorgt sich um Krankheiten und trauert mit den Hinterbliebenen. Neben dem geistigen Austausch waren die Reisen nach Hamburg auch kulturell wichtig, denn hier gehörten Opern- und  Theaterbesuche dazu. So war Storm Zeuge einer Aufführung der Oper „Die Rose von Bacherach“ seines Freundes Ludwig Scherff und sah sich Mozarts „Zaubeflöte“ an.

Die Zusammenkünfte dienten auch dem gemeinsamen Essen und Trinken; aber Storm und seine Frau nutzten solche Reisen, um all das einzukaufen, was man in Hademarschen nicht bekam: Neben Geschenken für die Weihnachtszeit oder für Geburtstage wurden auf solchen Reisen vor allem Kleidungsstücke und Stoffe erworben.

Wenn die Storms in einem Hotel übernachten mussten, weil ein Privatquartier nicht frei war, logierten Sie in „Meyers Hotel“ an der Esplanade oder im „Hotel Stadt Kiel“ am Gänsemarkt. Aber auch die Wohnungen der Freunde lagen zentral; die der Schleidens in der Borgfelder Straße und die der Damen Hallier „beim Strohause“, beides Adressen unweit des Hauptbahnhofs.. Storm konnte sich also in Hamburg wohlfühlen und nutze die Aufenthalte zur Erholung vom häuslichen Arbeitsstress. Anregungen erfuhr er durch Besuche im „Kunst und Gewerbemuseum“ und im neu gegründeten Zoo im heutigen „Planten un Bloomen“.

 

Ein Anziehungspunkt für Besucher der Stadt waren die Alsterarkaden, die nach der Zerstörung des Rathauses durch den Großen Brand von 1842 erbaut worden waren. Zur Gestaltung des Rathausmarktes am Alsterflees entstand vor dem Stau der Schleusenbrücke ein Bassin, die Kleine Alster. Der Architekt Alexis de Chateauneuf entwarf für die Westseite einen rundbogigen Arkadengang im italienischen Stil, dessen ursprünglicher Anstrich nach neuen Befunden ockergelb war, der aber später weiß verputzt werden sollte und dieses charakteristische Aussehen bis heute bewahrt hat.

 

Hamburger Neustadt, Photographie um 1890

 

Von den vielfältigen Kontakten und Aktivitäten der Storms in Hamburg wissen wir aus den Briefen an Verwandte und Bekannte. Storm berichtete seinem Sohn Ernst ausführlich, was er auf Reisen erlebte und teilte auch seinen Dichterfreunden Paul Heyse und Gottfried Keller oder dem Justizrat Wilhelm Petersen jede Neuigkeit mit, von der er glaubte, dass sie andere interessieren könnten. Wichtig waren ihm die Gegenbesuche der Freunde, die langfristig vorbereitet wurden und die zu den Höhepunkten im Jahresablauf gehörten. Schließlich profitierte der Schriftsteller Storm von seinen Reisen, weil er gelegentlich Motive für seine Erzählungen fand oder – wie im Falle Hamburgs – durch seine genauen lokalen Kenntnisse die Novelle „John Riew‘“ an Orten spielen lassen konnte, die er aus eigener Anschauung kannte. Auch sein Märchen „In Bulemanns Haus“ ist in Hamburg angesiedelt.

In Storm Nachlass im Husumer Storm-Archiv hat sich eine Brieftasche erhalten, in der noch ein kleines Faltkärtchen Steckt, das auf einer Seite einen Stadtplan von Hamburgs Innenstadt enthält, auf der anderen Seite die Werbung eines bekannten Textilgeschäfts.

  

 

Die Firma Ladage & Oelke wurde als englisches Kleidermagazin im Jahre1845 dem großen Brand in Hamburg von den Schneidermeistern Georg Wilhelm Carl Ladage und Johann Diedrich Wilhelm Oelke in dem noch heute existierenden Ladenlokal zwischen den Alsterarkaden und dem Neuen Wall eröffnet. Zunächst als Tuchhandlung gegründet, kamen bald die Maßschneider hinzu und die erfolgreichen Geschäftsleute eröffneten Filialen in Bremen, Hongkong, Shanghai und Yokohama.

 

 

 

Ladage& Oelke war im Hause Neuer Wall 11 angesiedelt und konnte auch von den Arkaden aus betreten werden. Die beiden Häuser mit dem Textilgeschäft und der Buchhandlung Jud zeigen bis heute die ursprüngliche Fassadengestaltung. In der Mitte des Blocks zwischen Schleusenbrücke, Jungfernstieg, kleiner Alster und Neuem Wall entstand eine kleine Passage, die Mellin-Passage, die heute Hamburgs älteste Einkaufspassage darstellt.

 

 

Wir wissen nicht, wann Theodor Storm den kleinen Stadtplan in seine Brieftasche gesteckt hat; aus den 1880er Jahren sind aber regelmäßige Einträge in Storms Notizbuch „Was der Tag gibt“ erhalten, die von Reisen nach Hamburg berichten. Hier eine kleine Auswahl:

 

13. - 24. November 1883: bei Freund Schleiden in Hamburg;

 

26. Mai 1884: Heimgekehrt von der 6wöchentlichen Reise nach Berlin über Hamburg (8 Tage), Schwerin, Hamburg, Fernsicht, Husum (silberne Hochzeit von Aemil – Helene Stolles Tod).

 

14.-29. Oktober 1884: Reise nach Hamburg. Bei Frl. Julie Hallier und Fr. Prof. Junghans wie in Abrahams Schoß logiert. – Hans B's Polterabend und Hochzeit; den Abend danach auf Ferdinand und Wilhelm Tönnies Einladung bei Pforte diniert. – Mehrfach mit Spengel zuletzt 1 1/2 Tage bettlägerig. Bei Schleidens Frl. Malvine krank.

 

20. September 1886: gestern bei Schleiden in Hamburg, Dodo bei Halliers. Alles wohlgelungen.

 

25. Juni 1887: Abfahrt von Grube 9 Uhr Morgens, in Hamburg 6 Uhr etwa. Das Überfahren eines Pferdes bei Lübeck ohne Entgleisung.

2. Juli: Abends nach 8 Uhr wieder hier. Gertrud und Lucie sind noch draußen, Karl und Elsabe kommen morgen.

3. Juli: in Hamburg Zoologischer Garten (Vogelhaus), Kunsthalle (das Schwabesche Geschenk aus London in 5 Sälen, eine andre Welt.) – Schleiden recht schwach; wehmütiger Abschied. Ich jetzt recht wohl.

 

Während des November-Besuchs im Jahre 1883 gab es im Hamburger Thalia-Theater ein besonderes Ereignis; am 17. November fand die Uraufführung des Stücks »Recht des Stärkeren« von Paul Heyse statt. Den Text hatte Heyse direkt nach dem Erscheinen seines Werks an Storm geschickt, der sich kritisch damit auseinandergesetzt hatte. So vorbereitet freute er sich auf die Hamburger Inszenierung und natürlich auf ein Wiedersehen der Freunde aus München, denn Heyse reiste gemeinsam mit seiner Ehefrau zur Uraufführung. Die Storms und die Schleidens waren eingeladen und nahmen in Heyses Loge an dem Kulturereignis teil. Storm notierte in sein Tagebuch: „Im Übrigen gesellig eine starke Campagne durchgemacht. Bei der Heimkehr Do nicht ganz frisch vorgefunden.“

 

                                         

                                                                                                     Paul Heyse (1830-1914)

 

Nach der Uraufführung  schrieb Stroms auf einer Postkarte am 20.November 1883 an seinen Freund Wilhelm Petersen in Schleswig:

Heyse's sind gestern vormittag abgereist. Das Stück schlug glänzend durch, 2 mal nach 2 u. 3 Act der Dichter hervorgerufen; er war entzückt von der Liebenswürdigkeit des Personals u. des alten Maurices. Sämmtliche Frauenrollen wurden nahezu vollendet gegeben; die Pistor – Candida, die Hörn Liddy; die Siegmann, wunderbar sympathisch – die Maja; nach Act 2 war ich hinter [der] Bühne, wo die liebenswürdigste Stimmung herrschte. Heyse sagte, es sei dießmal „ohne Erdenrest" aufgegangen; er selbst hat es aber auch unermüdlich einstudirt und Alles suchte nun seine Liebenswürdigkeit zu vergelten. Nachher wurde ich von seinen Freunden Oppenheim zu einem feinen Souper im Hotel Portes zugezogen, wo auch der alte Maurice war.

Der „alte Maurice“ war der Leiter des Thalia-Theaters, Charles Maurice, genannt Chéri; die Kaufamannsfamilie Emil Mendel Oppenheim war mit den Heyses eng befreundet; das Souper fand im Restaurant „Pfordte“ statt, das der Koch Franz Pfordte Im Jahre 1878 im Zentrum Hamburgs gegründet hatte und wo nach französischer Tradition gekocht wurde. In Wikipedia lesen wir: „Kaiser, Könige und Großfürsten sowie alles was gesellschaftlich einen Namen hatte, unter ihnen Bismarck und Moltke, verkehrten oft in Pfordtes Restaurant. Manch weittragender Entschluss in Politik und Wirtschaft wurde in diesem Restaurant gefasst. Pfordte war ein begeisterter Anhänger der französischen Kochkunstklassiker. An Antoine Careme, Urbain Dubois und Émile Bernard orientierte er sich. Sein feines Empfinden sagte ihm jedoch, dass er die Kunst dieser großen Franzosen nicht wahllos dem deutschen und besonders dem Hamburger Publikum vorsetzen dürfe. So verfeinerte er die Rezepte, bis er glaubte, den Geschmack der Gäste gefunden zu haben. Pfordtes Ehrgeiz war, jeden, der sein Restaurant beehrte, zu einem so hervorragenden Feinschmecker zu erziehen, wie er es selber war. In Hamburg fing man an, stolz auf den Mann zu werden, dessen Küche weit über Deutschlands Grenzen berühmt war, und dessen Haus einen bedeutenden Anziehungspunkt der Stadt bildete.“

Wer an solchen gesellschaftlichen Ereignissen teilnehmen wollte, musste angemessen gekleidet sein. Der kleine Prospekt des luxuriösen Herrenausstatters in Storms Brieftasche stammt wohl aus der Zeit der intensiven Kulturerlebnisse in der Hansestadt.

 

 

 

Dass es regelmäßig auch zu Einkäufen kam, belegt ein Brief Storms an seinen Freund Schleiden vom 27. November 1882: „Im Uebrigen, heiter fuhren wir aus, und heiter sind wir heimgekehrt; vom hiesigen Bahnhof, wo in der Dunkelheit großer Empfang, durch einen gewaltigen Morast, dennoch unversehrt mit allen unseren Packeneelkens; wie auch auf dem Altonaer Zoll bei, soweit solches einer Frau überhaupt möglich ist, gewissenhaftester Angabe, die höflichste Behandlung erfuhr. Eine Elle Rosaband wurde, glaub ich, mir unbewußt, glücklich durchgeschmuggelt.“

Eine Zollkontrolle im 1871 gegründeten Deutschen Kaiserreich? Nun – Hamburg gliederte sich erst im Jahre 1888 dem deutschen Zollgebiet an. Deshalb fand in Altona, das zur preußischen Provinz Schleswig-Holstein gehörte, einer Zollkontrolle statt.

 

 

 

Lesetipps:

Theodor Storm an Heinrich Schleiden. Briefwechsel. Hg. von Peter Goldammer. Berlin 1995.

Karl Ernst Laage: Unterwegs mit Theodor Storm. Ein literarischer Reiseführer. Heide 2002.

 

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